Sachverständiger bei der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags am 14.10.2015 in Berlin

Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie


BGH, Urteil vom 30. November 2004, Aktenzeichen XI ZR 285/03, zitiert nach openjur

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Tiffe - 2015 10 12 - Stellungnahme Sachv
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BGH, Urteil vom 30. November 2004, Aktenzeichen XI ZR 285/03, zitiert nach openjur

Die Stellungnahme beschränkt sich auf die Sicht der Praxis und folgende kritische Punkte des Gesetzentwurfs, der der Umsetzung der EU-Richtlinie 2014/17/ЕU dient:

-       Beabsichtigte Fortführung der Praxis der Vorfälligkeitsentschädigung

-       Falschberatung und fehlende Aufklärung bei komplexen Produkten

-       Entlastung verletzlicher Haushalte bei Dispozinsen

-       Empfehlung einer rückwirkenden Aufhebung des Widerrufsrechts

Zu Beginn werden die wesentlichen aktuellen Probleme von Verbrauchern in Deutschland bei Baufinanzierungen aus der Anwaltspraxis dargestellt, um anschließend darauf einzugehen, ob diese Probleme durch den Gesetzentwurf entsprechend gelöst werden.

 

Vertragsbeginn

1.     Verbrauchern werden seit Jahrzehnten von Banken, Sparkassen und Vermittlern Kombinationsfinanzierungen empfohlen und verkauft –  insbesondere Bausparsofortfinanzierungen mit Bausparverträgen und Darlehen mit Kapitallebensversicherungen als Tilgungsinstrument, die für Verbraucher nachteilhaft sind, die gesamte Finanzierung verteuern, sehr unflexibel sind und bei Abbruch zu deutlich erhöhten Kosten führen. Verbraucher vertrauen ihren „Beratern“ und stellen erst nach Jahren fest, dass sie falsch beraten und nicht über die Nachteile und Risiken aufgeklärt wurden.

2.     Verbrauchern werden Finanzierungen verkauft, die aufgrund der anfänglichen Rate günstig erscheinen, die die Verbraucher bei vertragsgemäßer Fortsetzung vor Erreichen ihres Rentenalters aber nie abbezahlen werden. Erst nach Jahren merken die Verbraucher, dass die gesamte Finanzierung mit ihrer Lebensplanung und ihrem Einkommen im Rentenalter nicht funktionieren wird.

3.     Verbraucher verstehen oft nicht, wann der Vertrag zustande kommt. Oft vermissen sie eine Vertragsurkunde, der von beiden Seiten unterschrieben wurde.

4.     Verbrauchern wird der Tag des Vertragsschlusses nicht mitgeteilt. Im Fall des Annahmeverfahrens können sie diesen auch nicht selbst ermitteln, da es in dem Fall auf den Tag des Zugangs der Annahme beim Kreditinstitut ankommt. Entsprechend haben sie Schwierigkeiten, die Frist für den Widerruf zu berechnen.

5.     Die vorvertraglichen Informationen, das europäische standardisierte Informationsblatt (ESIS), werden in Deutschland von Verbrauchern in der Regel weder wahrgenommen noch für ihre Entscheidung genutzt. Denn Verbraucher erhalten diese Informationen von den Banken und Sparkassen in Deutschland regelmäßig erst mit dem Darlehensvertrag selbst, wenn der Verbraucher sich schon für einen Anbieter und ein bestimmtes Produkt entschieden hat.

6.     Verbraucher zahlen, soweit sich die Abnahme des Darlehens verzögert, derzeit regelmäßig höhere Zinsen (3,0 % p.a.) als bei Inanspruchnahme des Darlehens (1,00 – 2,00 % p.a.). Banken und Sparkassen verlangen also in dem Fall mehr als ihr eigentliches Erfüllungsinteresse ist, ohne dass Verbraucher die Leistung in Anspruch nehmen.

 

Vertragsverlauf

7.     Verbraucher werden mit zusätzlichen Kosten belastet, so Kontoführungsgebühren und Bearbeitungsentgelten bei Darlehen, die nach der bisherigen Rechtsprechung unzulässig sind. Kreditinstitute behaupten weiterhin, die bestehende Rechtsprechung gelte nicht für sie, z.B. weil sie eine Bausparkasse seien, eine staatliche Förderbank oder es sich um eine individuelle Vereinbarung handeln würde.

8.     Banken benutzen weiterhin von Anbieterseite erstellte und veröffentlichte Zinsreihen für die Anpassung von Immobiliardarlehen und halten diese Praxis für gerechtfertigt, obwohl der BGH schon im Jahr 2004 derartigen Zins-sätzen eine Absage erteilt hat (BGH, Urteil vom 30.11.2004, Az. XI ZR 285/03).

9.     Besonders finanziell schwachen Verbrauchern, die aufgrund ihrer aktuellen Situation die Bank nicht einfach wechseln können, werden Anschlusszins-sätze nach Ablauf der Zinsbindung angeboten, die eine extreme Verteuerung des Darlehens für diese Verbraucher bedeuten und nicht den Marktzins wiederspiegeln; z.B. Marktzins 2,0 % p.a., Vertragszins 7,0 % p.a.).

 

Vertragsbeendigung

10.  Verbraucher werden bei einer vorzeitigen Rückzahlung von hohen Schadensersatzforderungen der Banken und Sparkassen und sogar Förderbanken völlig überrascht. Verbraucher zahlen für eine normale Hausfinanzierung bei vorzeitiger Ablösung oft zusätzliche Beträge von 10.000 – 30.000 Euro, in der Spitze sogar über 40.000 Euro. Die Verbraucher fühlen sich Banken, Sparkassen und auch Bausparkassen gegenüber in dem Fall ausgeliefert. Sie können weder die Berechnung nachvollziehen noch halten sie die Höhe der Zahlungen für gerechtfertigt.

11.  Die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung ist in Deutschland innerhalb der Europäischen Union einzigartig hoch (siehe die Studie: Vorfälligkeitsentschädigung in Europa, 2004). Diese Situation hat sich in den letzten Jahren noch verschärft. Verbraucher zahlen aktuell faktisch fast sämtliche Zinsen bis Laufzeitende als „Schadensersatz“.

12.  Derzeit können Verbraucher diese Zahlungen aufgrund des Wertzuwachses der Immobilien an die Banken, Sparkassen und Bausparkassen leisten. Bei stagnierenden Immobilienpreisen, mit dem in Zukunft gerechnet werden muss, werden sich Verbraucher in besonders schwierigen Situationen ihres Lebens (Trennung, Scheidung, Arbeitslosigkeit, berufliche Veränderung) erheblich verschulden müssen, um Immobiliardarlehen ablösen zu können, bis hin zur Überschuldung. Schuldnerberatungsstellen beobachten diese Entwicklung in strukturschwachen Regionen schon seit Jahrzehnten.

13.  Verbraucher werden bei der Ablösung von Banken und Sparkassen oft unter Druck gesetzt. Bei einem ersten Gespräch erklären Banken und Sparkassen Verbrauchern gegenüber, die vorzeitige Rückzahlung z.B. aufgrund des Verkaufs sei unproblematisch möglich, ohne dass auf die gesetzliche Kündigungsmöglichkeit hingewiesen wird. Kommen Verbraucher nach Abschluss des Kaufvertrags mit einem konkreten Ablösezeitpunkt zum Kreditinstitut, heißt es dann plötzlich, sie müssten eine Aufhebungsvereinbarung unterzeichnen, sonst sei die zeitnahe Ablösung nicht möglich. Durch die Aufhebungsvereinbarung umgehen Banken und Sparkassen die Rechtsprechung, eine taggenaue Schadensberechnung vorzulegen und wehren Ansprüche ab, wenn die verlangten Vorfälligkeitsentschädigungen der Banken und Sparkassen von Verbrauchern als zu hoch kritisiert werden.

 

Staatliche Förderbanken

14.  Staatliche Förderbanken wie die KfW berufen sich auf die Ausnahmeregelung gem. § 491 Abs. 2 Nr. 5 BGB, dass für sie die verbraucherschützenden Normen gem. §§ 492 ff. BGB nicht gelten würden, obwohl Verbraucher genauso von nachteilhaften Darlehensbedingungen und verlangten Vorfälligkeitsentschädigungen der Förderbanken betroffen sind. Förderbanken operieren damit in Deutschland in einem verbraucherrechtlich rechtsfreien Raum zum Nachteil der Verbraucher, ohne dass rechtspolitisch erkennbar ist, wieso sich staatliche Förderbanken nicht ebenso an die verbraucherrechtlichen Vorschriften halten sollten.

 

Dispozinsen

15.  Besonders verletzliche Verbraucher zahlen bei eingeräumter und geduldeter Überziehung des Girokontos (Dispokredite) sowie bei Kreditkartenkrediten hohe Zinssätze. Arme zahlen somit mehr, wie schon David Caplovitz in seinem Buch  „The poor pay more“ 1967 für die USA festgestellt hat.

16.  Das Niveau von Dispokrediten liegt weit über den von Ratenkrediten, ohne dass dies durch höhere Ausfallquoten oder erhöhten Arbeitsaufwand gerechtfertigt wäre. Verbraucherzentralen und Schuldnerberatungsstellen sehen den verlangten Zinssatz für Dispokrete der Höhe nach grundsätzlich als nicht gerechtfertigt an, siehe: Studie zu Dispozinsen/Ratenkrediten 2012 im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), S. 2 und S. 144 ff.).

17.  Risiken für Verbraucher bestehen insbesondere, wenn sich die Nutzung des Dispokredits verstetigt oder Verbrauchern stattdessen Produkte angeboten werden, die zusätzliche Nachteile haben wie Ratenkredite mit teuren Restschuldversicherungen.

 

Lediglich ein Problem (Nr. 13) wird durch den Gesetzentwurf gelöst, weil Verbraucher in Zukunft ihren Immobiliar-Darlehensvertrag nicht mehr mit einer Frist von drei Monaten kündigen müssen und somit Aufhebungsvereinbarungen obsolet werden. Alle anderen Probleme werden voraussichtlich für Verbraucher auch nach der Umsetzung des Gesetzentwurfs bestehen bleiben.

 

Zudem gibt es EU-rechtliche und verfassungsrechtliche Bedenken bei der Umsetzung einzelner Punkte.

 

A       Regelung zur vorzeitigen Rückzahlung 

          EU-rechtswidrig

 

Der Gesetzentwurf will die bestehende Praxis der Vorfälligkeitsentschädigung der Banken, Sparkassen und Bausparkassen in Deutschland aufrechterhalten und geht davon aus, dass die bisherige Praxis sowohl interessengerecht als auch mit dem EU-Recht vereinbar ist. Beides ist nicht der Fall.

 

Die derzeitigen von Banken und Sparkassen verlangten Vorfälligkeitsentschädigungen entsprechen oft der Summe aller Zinsen in der Zukunft, wie die folgenden an die Praxis angelehnten Beispiele zeigen:

 

Restschuld                                                                                    115.000 Euro

Geforderte Vorfälligkeitsentschädigung                                            5.688 Euro

Vertragliche Zinsen für die Restlaufzeit von 11 Monaten                  5.724 Euro

 

Restschuld                                                                                     115.000 Euro

Geforderte Vorfälligkeitsentschädigung                                           22.068 Euro

Vertragliche Zinsen für die Restlaufzeit von 81 Monaten                29.425 Euro

 

Banken und Sparkassen verlangen damit faktisch den Großteil der zukünftigen Zinsen als Vorfälligkeitsentschädigung.

 

Die Berechnung der Kreditinstitute erfolgt dabei pauschal. Einen konkreten Schaden in der genannten Höhe weist eine Bank oder Sparkasse Verbrauchern in der Praxis im Einzelfall nicht nach.

 

Die in Deutschland bisher etablierte Praxis bei der Berechnung einer „Vorfälligkeitsentschädigung“ ist gemessen an der Richtlinie EU-rechtswidrig. Denn Art. 25 der Richtlinie 2014/17/ЕU über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher formuliert

 

-        ein Recht der Verbraucher, ihren Kredit vorzeitig abzulösen.

-        In dem Fall ermäßigen sich die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher. Ausdrücklich sind nur laufzeitabhängige Kosten geschuldet.

Zinsen und Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags sind danach nicht geschuldet.

-        Die Richtlinie erlaubt Anbietern lediglich „eine angemessene und objektive Entschädigung für die möglicherweise entstandenen, unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten“:

-        Die Entschädigung darf den finanziellen Verlust des Kreditgebers nicht überschreiten. Vertragsstrafen sind unzulässig.

Die gesetzten Standards in der Richtlinie für die vorzeitige Kreditrückzahlung sind „auf Unionsebene von wesentlicher Bedeutung“ (Erwägungsgrund Nr. 66). Die vorzeitige Rückzahlung für einen Anbieter- und Produktwechsel ist dabei ausdrücklich als legitimes Ziel vorgesehen. Verbraucher sollen „die Möglichkeit haben, sich ihrer Verpflichtungen vor dem im Kreditvertrag vereinbarten Zeitpunkt zu entledigen“  (Erwägungsgrund Nr. 66).

Die parallele Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge, die einen identischen Wortlaut in Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 für die vorzeitige Rückzahlung enthält, wird bei der Auslegung entsprechend mit zu berücksichtigen sein.

 

Schon heute gilt im deutschen Zivilrecht der Grundsatz: Haben Verbraucher ein Recht auf Kündigung, dürfen ihnen keinerlei Kosten vom Anbieter auferlegt werden.

Sämtliche Versuche, Kosten aufgrund einer rechtmäßig erfolgten Kündigung auf den Verbraucher abzuwälzen, wurde eine klare Absage erteilt, so z.B. auch bei der Kündigung von Girokonten (Bankrechts-Handbuch-Bunte, 4. Aufl. 2011, § 17, Rn. 28).

Eine Ausnahme, wie sie Art. 25 der Richtlinie formuliert, ist daher grundsätzlich eng auszulegen. Eine Bank oder Sparkasse darf daher nach Art. 25 nur die tatsächlichen Kosten verlangen, die durch die vorzeitige Rückzahlung des konkreten Darlehens entstanden sind. Diese hat sie für den Kredit offenzulegen. Andernfalls können ein Verbraucher und ein Gericht nicht überprüfen, ob es sich lediglich um tatsächlich entstandene Kosten handelt oder nicht. Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen:

 

-        Nur wenn das Kreditinstitut überhaupt eine konkrete Refinanzierung vorgenommen hatte, kann es die Kosten aus dieser Refinanzierung vom Verbraucher für die Restlaufzeit erstattet verlangen.

-        Das Kreditinstitut hat den konkreten Nachweis zu erbringen, dass ihm konkrete Kosten entstanden sind und wie sich diese zusammensetzen. Bei einer Refinanzierung aus kurzfristigen Spareinlagen ihrer Kunden kann ein Kreditinstitut somit keine Kosten geltend machen. Eine abstrakte Berechnung, wie bisher in Deutschland gängige Praxis, ist nach Art. 25 der Richtlinie, nicht mehr zulässig.

-     Ein Kreditinstitut hat nach Art. 25 der Richtlinie keinen Anspruch auf einen etwaigen entgangenen Gewinn in der Zukunft, wie heute immer noch durch einen „Margenschaden“ Verbrauchern berechnet wird.

Die geplante Regelung in § 502 Abs. 1 S. 1 BGB-E  sieht Folgendes vor:

„Der Darlehensgeber kann im Fall der vorzeitigen Rückzahlung eine angemessene Vorfälligkeitsentschädigung für den unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung zusammenhängenden Schaden verlangen, wenn der Darlehensnehmer zum Zeitpunkt der Rückzahlung Zinsen zu einem gebundenen Sollzinssatz schuldet.“

  In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es dazu:

„Wie bislang muss die Vorfälligkeitsentschädigung angemessen sein. Die Angemessenheit bestimmt sich anhand des Umfangs der Entschädigung. Dies erlaubt es, ohne inhaltliche Änderungen die bisher geltende Regelung auf Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge anzuwenden. Die Vorfälligkeitsentschädigung bleibt als schadensersatzrechtlicher Anspruch ausgestaltet.“

 

Der bisherige Schadensersatzanspruch bei vorzeitiger Rückzahlung eines grundpfandrechtlich gesicherten Darlehens geht aber über die in der EU-Richtlinie genannten tatsächlichen Kosten hinaus. Nach EU-Recht besteht beispielsweise kein Anspruch auf in Zukunft zu zahlende Zinsen. Daher ist der Aktiv-Passiv-Vergleich nach EU-Recht in Zukunft unzulässig. Denn diese Berechnungsmethode setzt einen Zinsanspruch des Kreditinstituts bis Zinsbindungsende im Fall der vorzeitigen Rückzahlung voraus. Auch der Aktiv-Aktiv-Vergleich, ist nach dem EU-Recht unzulässig, weil er zukünftigen entgangenen Gewinn beinhaltet. Da nach dem EU-Recht bei vorzeitiger Rückzahlung kein Anspruch auf zukünftige Zinsen besteht, hat die Bank auch keinen Anspruch auf zukünftigen entgangenen Gewinn.

 

Da § 502 Abs. 1 S. 1 BGB-E ausdrücklich einen Schadensersatzanspruch des Darlehensgebers formuliert und dieser dem EU-Recht widerspricht, womit Verbraucher benachteiligt werden, ist sowohl die bisherige Praxis der Vorfälligkeitsentschädigung als auch § 502 Abs. 1 S. 1 BGB-E europarechtswidrig.

 

Es gibt keinen Grund, an der aktuellen nationalen Praxis, die im Wesentlichen auf Rechtsprechung und nicht auf Vorgaben des Gesetzgebers aufbaut, festzuhalten.

Die bisherige Praxis in Deutschland existiert erst seit den 90er Jahren. Bis in die 80er Jahre war es Darlehensnehmern möglich, ihre Darlehen jederzeit ohne Kosten mit einer Frist von sechs Monaten zu kündigen und zurückzuzahlen, siehe § 247 BGB a.F. Nur bei konkretem Nachweis, dass für das Darlehen eine Deckungsmasse gebildet wurde, konnte dieses Kündigungsrecht ausgeschlossen werden. Diesen Nachweis mussten Banken bis dahin erbringen.

Kein Spielraum für nationalen Gesetzgeber

Die Richtlinie eröffnet bei der Schadensberechnung für den nationalen Gesetzgeber. auch keinen Gestaltungsspielraum. Spielraum besteht nur bei den „Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts“, also wann ein berechtigtes Interesse besteht, das zu einer vorzeitigen Kündigung berechtigt, nicht aber in Bezug auf die Berechnung der unmittelbar im Zusammenhang mit der vorzeitigen Rückzahlung anfallenden Kosten. Insbesondere dürfen keine laufzeitabhängigen Kosten geltend gemacht werden, die nach dem Zeitpunkt der Kündigung liegen und kein pauschalisierter Schadensersatz verlangt werden.

 

Wie die Beispiele zeigen, verhindert das bisherige nationale Recht in Deutschland die Ziele der EU-Richtlinie, da faktisch zukünftige Zinsen verlangt werden. Ein Festhalten daran stellt daher eine Verletzung von europarechtlichen Vorgaben dar.

Pflicht zu Transparenz sowie effektiven und wirksamen Sanktionen

Bisher werden Falschberechnungen von Darlehensgebern faktisch nicht sanktioniert. Für eine Bank oder Sparkasse bestehen derzeit ökonomische Anreize, eine möglichst hohe Vorfälligkeitsentschädigung zu verlangen und die Berechnung möglichst intransparent und nicht nachvollziehbar zu gestalten. Das EU-Recht fordert jedoch entsprechende Transparenz, siehe Art. 25 Abs. 4 der Richtlinie.

 

Der nationale Gesetzgeber muss darüber hinaus effektive Sanktionen vorsehen, wenn sich Darlehensgeber nicht an die gesetzlichen Vorgaben halten und Kosten bei einer vorzeitigen Rückzahlung in Rechnung stellen, die sich nicht mit den Vorgaben der Richtlinie decken; siehe Erwägungsgrund Nr. 76 der Richtlinie sowie EuGH, Urteil vom 27.03.2014, Az. C-565/12. Entsprechende Sanktionen fehlen bisher im Gesetzentwurf.

Folgen EU-rechtswidriger Praxis

Sollte die bisherige Praxis der Vorfälligkeitsentschädigungen bei der Umsetzung der Richtlinie für Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher aufrechterhalten werden, droht den Banken und Sparkassen eine weitere Welle der Prozessflut aufgrund der Europarechtswidrigkeit der bisherigen Praxis in Deutschland und ein erhebliches Risiko von Rückforderungen. Dies gefährdet nicht nur die Stabilität des Bankensektors, es führt auch zu einem zusätzlichen Bedarf an Rückstellungen bei den Banken und wird zu einem weiteren Imageverlust des gesamten Finanzsektors führen, wenn der EuGH die europarechtswidrige Praxis in einigen Jahren bestätigen sollte.

Lösungsmöglichkeiten

Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, die Vorfälligkeitsentschädigung wie auch in anderen EU-Staaten üblich auf ein verbrauchergerechtes Maß in transparenter Weise zu reduzieren, siehe dazu z.B. die Regelung im Nachbarland Frankreich (max. 3 % der Restschuld bzw. 6 Monatsraten)[1], bei dem die Verbraucher in ähnlichem Maße Immobiliardarlehen mit Festzinsbindung nutzen wie in Deutschland.

 

Unabhängig davon muss der nationale Gesetzgeber gesetzlich regeln, dass ein Darlehensgeber lediglich die durch die vorzeitige Rückzahlung tatsächlich entstandenen Kosten verlangen kann und er diese dem Darlehensnehmer gegenüber nachweisen muss. Sinnvoll wäre, § 502 Abs. 1 BGB-E entsprechend der EU-Vorgaben in Art. 25 Abs. 3 S. 1 zu regeln:

 

„Der Darlehensgeber kann im Fall der vorzeitigen Rückzahlung für die entstandenen, unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten Entschädigung verlangen.“

Die Entschädigung darf …* nicht überschreiten.“

* = Anzahl der Raten und / oder Prozentsatz der abzulösenden Restschuld

 

§ 493 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BGB-E ist für die Informationen vor Rückzahlung entsprechend der EU-Vorgabe in Art. 25 Abs. 4 S. 1 zu formulieren:

 

„Nr. 3 gegebenenfalls die entstehenden, unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten.“

 

B       Aufklärungs- und Beratungspflichten im

         Kreditbereich

Verbraucher sollten bei der Beratung und Vermittlung von Baufinanzierungen genauso geschützt werden wie bei der Geldanlage. Die Vorgaben der Europäischen Union legen einheitliche Standards bei allen Finanzdienstleistungen nahe. Die Standards bei Wertpapierdienstleistungen einer anleger- und objektgerechten Beratung, die in Deutschland mit der Bond-Entscheidung des BGH (BGH-Urteil vom 06.07.1993, Az. XI ZR 12/9) begründet wurden, sollten als kunden- und objektgerechte Beratung auf die anderen Finanzdienstleistungen entsprechend übertragen werden.

 

Die folgenden Probleme löst der Gesetzentwurf nicht:

 

-        Verbrauchern werden unter fadenscheinigen Argumenten von Anbietern und Vermittlern komplexe Baufinanzierungen angeboten und empfohlen und die Verbraucher dabei von einer üblichen Finanzierung mit stetiger Tilgung abgebracht, weil dadurch auf Kosten der Verbraucher höhere Einnahmen und Provisionen generiert werden können. Verbraucher werden dadurch nachhaltig geschädigt.

-        Mitarbeiter von Anbietern geben sich vor Vertragsschluss als „Berater“ aus und erstellen ausführliche „Beratungsunterlagen“, behaupten aber später, es hätte gar keine Beratung stattgefunden.

-        Beratungsprotokolle stimmen mit dem tatsächlichen Ablauf der Beratung  nicht überein, werden Verbrauchern aber später als Beweis vorgelegt.

 

Das Gesetz sollte in § 493 Abs. 3 S. 3 BGB-E daher zumindest folgende Punkte sowohl für Berater wie Vermittler zusätzlich regeln:

 

„Werden Verbrauchern statt eines Darlehensvertrags mit stetiger Tilgung komplexere Produkte oder Tilgungsinstrumente angeboten, sind die Verbraucher vor Vertragsschluss über die konkreten Nachteile und Risiken der komplexeren Finanzierungsform und die Alternative eines Darlehensvertrags mit stetiger Tilgung aufzuklären.“

 

Gegenüber Verbrauchern sollte zudem eine gesetzliche Pflicht bestehen, vor Vertragsschluss die zu erwartende Dauer der Gesamtfinanzierung unter Zugrundelegung der anfänglichen Ratenzahlungen und der aktuellen Zinssätze offenzulegen, damit Verbraucher wissen, bis zu welchem Alter sie voraussichtlich Raten für das Darlehen leisten müssen.

 

C       Dispozinsen

 

Die Hinweispflicht gem. § 675g Abs. 4 BGB-E und die Beratungspflicht im Fall einer stetigen Nutzung der Überziehung gem. § 504a BGB-E werden grundsätzlich begrüßt, aber aller Voraussicht nach verletzliche Haushalte nicht entlasten. Sie werden weiterhin deutlich mehr bezahlen für ihre Liquidität als andere Haushalte, wenn die Überziehungszinsen nicht begrenzt werden und ihnen Banken keine kostengünstigeren Kredite anbieten müssen.

In der Studie 2012 für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMELV) wurde ein Maßnahmenpaket vorgeschlagen, dessen Kernelement eine Preisobergrenze ist:

 

 

„Wird eine Reduzierung des maximal im Markt auftretenden Dispozinses (unter Inkaufnahme eines verringerten Angebots) als zentrales politisches Ziel verfolgt, empfiehlt sich ein Mix aus den vorgeschlagenen Maßnahmen. Zentrales Element ist dabei eine klare Preisobergrenze, die unterschiedlich ausgestaltet werden kann und von weiteren Maßnahmen flankiert werden sollte.“ [Hervorhebung durch Verf.]

 

Studie zu Dispozinsen/Ratenkrediten 2012, S. 216

 

 

In der Studie zu Dispozinsen/Ratenkrediten 2012 wird eine flexible Wuchergrenze vorgeschlagen, die sich an der bisherigen Rechtsprechung und dem allgemeinen Zinssatz für unbesicherte Konsumentenkredite (Zeitreihe SUD130Z der deutschen Bundesbank) orientiert. Entscheidend ist dabei die Festlegung eines geeigneten Referenzzinssatzes. Andernfalls sind Zinssätze von 27 % und mehr möglich, wie jetzt schon bei Kreditkartenkrediten.

 

Ein Beratungsangebot und zusätzliche Informationen erscheinen insgesamt nicht ausreichend, um die Zinssätze für eingeräumte und geduldete Überziehungen auf ein marktgerechtes Niveau zu senken.

 

Ohne eine klare Preisobergrenze werden verletzliche Haushalte und insbesondere Haushalte mit niedrigen und unstetigen Einkommen weiterhin zusätzlich belastet, ohne dass dies ökonomisch begründet ist.

 

D       Begrenzung des Widerrufsrechts

 

Mit Überraschung wurde zur Kenntnis genommen, dass bei bestehenden Immobiliardarlehen das Widerrufsrecht nun zeitlich begrenzt werden soll:

 

„Der Bundesrat bittet daher, im weiteren Gesetzgebungsverfahren folgende Änderungen zu prüfen: …

 

b)    Aus Gründen  der Rechtssicherheit sollte in die Überleitungsvorschrift des Artikels  229  Einführungsgesetz  zum  Bürgerlichen  Gesetzbuche  (BGBEG) auch  für  bereits  vor  dem  21.  März  2016  geschlossene  Immobiliar-Verbraucherdarlehen  (einschließlich  solcher  gemäß  §  491  Absatz  2  Satz  2 Nummer 5 BGB) eine gesetzliche Ausschlussfrist des Widerrufrechts aufgenommen  werden.  Nach  dem  Vorbild  des  Artikels  229  §  32  Absatz  2 Nummer 3 BGBEG könnte das Widerrufsrecht auf maximal zwölf Monate und 14 Tage nach Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes befristet werden.“

 

Beschluss des Bundesrats, BR-Ds. 359/15, S. 2

 

Eine zeitliche Begrenzung des Widerrufsrechts sieht weder die EU-Richtlinie vor, noch fordert sie diese für bestehende Verträge. Regelungsbedarf haben allenfalls die Kreditinstitute selbst.

 

Eine Rückwirkung für bestehende Verträge ist verfassungsrechtlich bedenklich, da es rückwirkend in bestehende Vertragsverhältnisse eingreift. Das Ziel der Rechtssicherheit, wie es im Beschluss des Bundesrats formuliert wird, wird daher mit einer derartigen Regelung voraussichtlich nicht erreicht werden.

 

Es stellt zudem eine Bevorteilung von Banken, Sparkassen und Bausparkassen dar, deren selbst verursachten Fehler in der Vergangenheit endgültig sanktionslos bleiben würden.

Denn das Problem irreführender Widerrufsbelehrungen ist von Banken und Sparkassen selbst verursacht worden. Soweit Banken und Sparkassen die Verbraucher fehlerhaft und irreführend über ihr Widerrufsrecht belehrt haben und nicht das Angebot des Gesetzgebers angenommen haben, das zur Verfügung gestellte Muster zu verwenden, hätten die Banken und Sparkassen die Verbraucher, wie es das Gesetz vorsieht, nachbelehren können.

Banken und Sparkassen haben eine Nachbelehrung jedoch jahrelang unterlassen und Verbraucher so bewusst im Unwissen über ihr weiterhin bestehendes Widerrufsrecht gehalten. Es ist somit unverständlich, dass der Gesetzgeber nun den Banken und Sparkassen einen Freibrief erteilen und die Verletzung von Informationspflichten und das jahreslange Schweigen der Banken und Sparkassen über eigene Fehler gegenüber ihren Kunden damit nachträglich belohnt werden soll.

 

Eine derartige Regelung würde zudem zu chaotischen Verhältnissen führen. Denn eine Befristung des Widerrufsrechts für Altverträge würde voraussichtlich dazu führen, dass Verbraucherverbände, Medien und Rechtsanwälte in den kommenden Monaten Verbraucher auffordern würden, ihre Immobiliardarlehensverträge auf die Möglichkeit des Widerrufs zu überprüfen. Welche Auswirkungen derartige Fristen haben können, haben die Urteile des Bundesgerichtshofs zur Rückforderung von Bearbeitungsentgelten bei Ratenkrediten im Oktober 2014 gezeigt. Die dadurch entstandenen Kosten für den Kreditsektor wurden auf ein bis zwei Milliarden Euro geschätzt.

 

Verbraucher würden durch eine derartige Frist zudem unter Druck gesetzt und möglicherweise für sie nachteilhafte Entscheidungen treffen, indem sie ihre Darlehensverträge vor Fristablauf widerrufen, ohne eine Anschlussfinanzierung zu haben. Banken, Sparkassen und Bausparkassen, die jetzt schon durch den Widerruf von Altverträgen teilweise überfordert sind, müssten mit einer starken Zunahme von Widerrufen bis zum Fristablauf rechnen und entsprechende Rückstellungen für jeden widerrufenen Darlehensvertrag bilden, da die Rechtslage in weiten Teilen noch nicht abschließend geklärt ist.

 

Der Gesetzgeber hat es den Kreditinstituten in der Vergangenheit mit der Vorgabe von Mustern und der Gesetzlichkeitsfiktion sehr leicht gemacht, die Belehrungspflichten zu erfüllen. Wenn Banken und Sparkassen dieses Angebot nicht angenommen und Verbraucher fehlerhaft belehrt haben, müssen sie sich das selbst zurechnen lassen, insbesondere wenn sie den Weg der vom Gesetz eröffneten Nachbelehrung bewusst nicht gewählt haben. Das bestehende Recht bietet den Kreditinstituten ein ausreichendes Instrumentarium zu reagieren, insbesondere über die Möglichkeit der Nachbelehrung.

Der Gesetzgeber sollte die Kreditinstitute daher nicht aus der Verantwortung entlassen und eigene Fehler der Banken und Sparkassen auf Kosten der Verbraucher korrigieren. Es wäre zudem ein falsches Signal für den Verbraucherschutz.

 

Sowohl aus Sicht des Verbraucherschutzes als auch aus Sicht des EU-Rechts ist die Aufrechterhaltung des Status Quo bezüglich der Höhe und der Berechnungsweise von Vorfälligkeitsentschädigungen bei gleichzeitiger Aufhebung von Sanktionen für die Verletzung von Belehrungspflichten über das Widerrufsrecht in höchstem Maße bedenklich und wird vor dem EuGH voraussichtlich keinen Bestand haben.

 

Hamburg, 12.10.2015



[1] Article R312-2, Créé par Décret n°97-298 du 27 mars 1997 - art. 1 (V) JORF 3 avril 1997

 

BGH, Urteil vom 30. November 2004, Aktenzeichen XI ZR 285/03, zitiert nach openjur