„Wir behalten uns das Recht vor, die Services jederzeit mit oder ohne Angabe von Gründen und mit oder ohne Benachrichtigung zeitweilig oder endgültig zu beenden.“ (Cloud-Computing-Anbieter)
Finanzdienstleistungen sind ein Schlüsselgebiet des Verbraucherrechts, weil sie das Einkommen der Verbraucher an den Ort und zu der Zeit transportieren, wo der Verbraucher es für seinen Konsum nutzen will. Störungen und Probleme bei Finanzdienstleistungen haben direkte Auswirkungen auf die Verbraucher und ihren Konsum. Daher hat sich die VuR diesem Thema immer stark gewidmet.
Neben den Finanzdienstleistungen zeichnen sich aber auch neue Bereiche im Verbraucherrecht und Verbraucherschutz ab, deren Bedeutung sehr wahrscheinlich zunehmen wird. Als erstes lässt sich das Thema Social Media und Datenspuren nennen. Derzeit wird die Materie im Bereich Datenschutz angesiedelt. Es geht aber längst nicht mehr allein um den Umgang einzelner Unternehmen mit Kundendaten. Durch internationale Anbieter werden Unmengen von Daten gespeichert, die zusammengeführt und ausgewertet werden können. Selbst anonymisierte Daten können durch Ergänzung mit anderen Datenquellen wieder einfach personalisiert werden, wie eine Studie kürzlich gezeigt hat. Der Verbraucher verliert somit die Hoheit über seine Daten. Es ist aber nicht der große Bruder Staat, sondern es sind viele einzelne Unternehmen, die individualisierte Daten sammeln und nutzen. Der Verbraucher weiß in der Regel weder welche Daten gespeichert werden, noch wo dies geschieht, wer sie nutzen darf und wie sie tatsächlich genutzt werden. Der Druck durch die Anbieter, persönliche Daten preiszugeben, steigt, und es ist anstrengend, sich dem zu entziehen, wenn man als Verbraucher überhaupt den Zusammenhang kennt.
Wir merken die Nutzung unseres eigenen Kundenprofils meist nur zufällig, zum Beispiel wenn im Internet eingeblendete Werbung individualisiert wird. Pläne, die Werbung auf den Smartphones und sogar in der Öffentlichkeit an die individuellen Verbraucher anzupassen und ihre Datenprofile dafür zu nutzen, gibt es schon. Auch gab es erste Ansätze, unser gespeichertes Sozialverhalten für ein Kredit-Scoring nutzbar zu machen. Zwar hat die SCHUFA die Forschung mit einem Institut nach öffentlichem Protest wieder eingestellt, doch wird es nicht lange dauern, bis diese Daten genauso wie unser Wohnort für die Preisbestimmung unseres Kredits genutzt werden wird.
Wenn in Zukunft das Eigentum an Sachen durch deren Nutzung zunehmend verdrängt wird – Vorreiter ist hier die PKW-Nutzung in der Stadt – wird das Scoring immer wichtiger. Ein schlechter Score-Wert führt dann nicht nur zur Ablehnung eines Kredit- oder Mobilfunkvertrages, sondern auch zur Verweigerung des Zugangs zu weiteren Dienstleistungen wie z.B. Mobilität in der Stadt. Zugangsfragen, wie Jeremy Rifkin es schon 2001 in dem Buch „The Age of Access“ beschrieben hat, werden eine völlig neue Dimension bekommen, wenn die Bedeutung des Eigentums schwindet.
Eine zweite neue Entwicklung, die ebenfalls mit dem technischen Fortschritt verbunden ist, ist die Intransparenz von Preisen. Während der Ruf nach Transparenz immer lauter wird, werden die Preise der Anbieter immer intransparenter. Er wird nicht nur in Einzelposten zerlegt, um Vergleiche zu erschweren, er schwankt auch zunehmend. An Tankstellen beispielsweise wechselt der Preis teilweise 4-6 Mal am Tag. Wer morgens noch 1,57 Euro pro Liter Benzin gezahlt hat, sieht abends auf dem Weg nach Hause an derselben Tankstelle den Preis von 1,49 Euro. Mit Einkaufspreisen der Händler lässt sich das nicht begründen, denn es wird das gleiche Benzin aus denselben Tanks verkauft. Der Staat reagiert mit Plänen für Meldestellen und Vergleichsportalen in Echtzeit. Werden wir in Zukunft auch stündlich wechselnde Preise beim Bäcker und im Supermarkt erleben?
Preise werden zunehmend individualisiert, wie es aus dem Kreditbereich bekannt ist, bei dem Verbraucher aufgrund unterschiedlicher Bonitätsbewertung mal höhere, mal niedrigere Zinsen bezahlen. So hat eine erste Fluglinie außerhalb Europas angekündigt, den Preis für ein Flugticket vom Körpergewicht des Verbrauchers abhängig zu machen, und Versicherer überlegen, ob das persönliche Fahrverhalten in Zukunft direkt im Fahrzeug ausgewertet werden und bei der Prämienhöhe der Kfz-Versicherung einfließen kann. Auf der anderen Seite wurde die Versicherungsindustrie auf europarechtlicher Ebene dazu verpflichtet, nicht mehr zwischen Frauen- und Männertarifen zu differenzieren. Wie stellt sich das Verbraucherrecht zu individueller Preisgestaltung. Müssten nicht Personen mit einer durchschnittlich niedrigeren Lebenserwartung (Arme, risikobehaftete Berufe) dann nicht auch eine höhere Rente aus der privaten Altersvorsorge erhalten als Personen mit einer höheren Lebenserwartung (Reiche, risikoarme Berufe)? Welche Zusammenhänge soll das Verbraucherrecht bei der Preisgestaltung zulassen? Wer darf in Zukunft positiv/negativ diskriminiert werden und wer nicht?
Mit der Digitalisierung entstehen zudem neue rechtliche Fragen. Wer sich früher eine Schallplatte gekauft hat, konnte sie einem Freund auf Kassette überspielen, er konnte die Schallplatte später weiterverkaufen und vererben. Wer heute Musik digital erwirbt, weiß nicht, was er als Verbraucher damit darf und wird im Zweifelsfall sogar kriminalisiert. Viele Rechtsfragen sind ungeklärt. Gleiches gilt für Daten, die in der „Cloud“ liegen. Was ist, wenn die Daten nicht mehr erreichbar sind. Wo sind die Daten überhaupt gespeichert, wer haftet für den Zugang und die Herausgabe der unverfälschten Daten, gibt es Ansprüche auf Schadensersatz bei Verletzung von Nebenpflichten, welches Recht findet Anwendung und wie kann sich der Verbraucher gegen Risiken absichern?
Durch den Fernabsatz, sprich Online-Kauf, verändern sich gleichzeitig unser Einkaufsverhalten, der Einzelhandel und möglicherweise auch unsere Innenstädte. Waren werden online bestellt und Verkäufer in Geschäften mit niedrigeren Preisen von Online-Anbietern konfrontiert, die auf dem Handy ad hoc abgerufen werden können. Der Verbraucher nutzt auch zunehmend Informationen, um die Informationsasymmetrie abzubauen, nach den ökonomischen Theorien ein positiver und wünschenswerter Effekt für den Markt. Anbieter wehren sich aber zunehmend dagegen. Man spricht schon von „Beratungsklau“, wenn ein Verbraucher in ein Geschäft geht und sich beraten lässt, später aber online kauft. Der Verbraucher wird der Sprache nach quasi zum Dieb einer Dienstleistung ernannt, obwohl er nur seine Möglichkeiten nutzt, nach dem besten Preis-/Leistungsverhältnis Ausschau zu halten und sich wie ein homo oeconomicus verhält. Was bedeutet diese Entwicklung für das Verbraucherrecht. Reicht der jetzige Rechtsrahmen aus, wenn Beratung und Kauf beim Erwerb von Waren auseinander fällt? Haften Einzelhändler für ihre Aussagen über Waren, wenn die Ware später online bei einem anderen Anbieter gekauft wird oder der Einzelhändler nur noch Vermittler ist und die Besichtigung von Waren anbietet?
Aber auch in klassischen Bereichen wie den Lebensmitteln gibt es offene Fragen. Wie ist zum Beispiel Pferdefleisch zu bewerten in einer Lasagne, deren Inhalt für den Verbraucher als Rindfleisch deklariert wird. Handelt es sich rechtlich um ein Informations- oder ein Qualitätsproblem? Was sollte und darf ein Verbraucher von einer Lasagne oder Fleisch zu Niedrigpreisen erwarten? Wie kann der Verbraucher erkennen, was in den heutigen Lebensmitteln erhalten ist und werden die neuen Informationsrechte der Verbraucher gegenüber staatlichen Einrichtungen hier für mehr Transparenz sorgen?
Auch bei dem Thema Nachhaltigkeit, ein Modewort mit einem wichtigen Kern, wird der Verbraucher (rechtlich) oft alleingelassen. Der Verbraucher soll sich ressourcen- und umweltschonend verhalten, wird von staatlicher Seite dazu angehalten Energiesparlampen zu benutzen und staatliche Anreize werden geschaffen, die Energiekosten als Verbraucher zu senken. Auf der Warenseite sind aber Verbrauchsgeräte oft nicht mehr einfach reparierbar. Akkus werden fest eingebaut und einzelne Teile können nicht einfach durch Ersatzteile ausgetauscht werden. Wie kann sich der Verbraucher gegen eine zunehmende Wegwerfgesellschaft wehren, wenn er sich nachhaltig verhalten will und welche Rolle kann das Verbraucherrecht hier übernehmen?
Rechtsprechung und Gesetzgebung reagieren oft auf neue Probleme und es ist selten, dass diese vorausschauend sozusagen schon im Vorfeld gelöst werden. Hier sollte es die Aufgabe der Wissenschaft sein, zumindest einige sich abzeichnende rechtliche Probleme für Verbraucher in der Zukunft zu analysieren, Verschiebungen von Risiken zum Nachteil der Verbraucher zu erkennen und nach rechtlich angemessenen Lösungen aus Verbrauchersicht zu suchen.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Achim Tiffe